DGKJP virtuell | Fort- und Weiterbildungsreihe
Die Pandemie hat uns alle auf unterschiedliche Art herausgefordert und wird uns auch zukünftig beschäftigen. Die immensen, auch positiven, Veränderungen in Bezug auf Online-Veranstaltungen möchten auch wir als DGKJP nutzen. Wenngleich Online-Veranstaltungen nicht in jedem Fall Ersatz für Veranstaltungen in Präsenz sind, wie z.B. Kongresse, so bieten sie doch die Möglichkeit, breit Interessierte anzusprechen. Die DGKJP bietet deshalb eine online-basierte Fort- und Weiterbildungsveranstaltungsreihe an, in der aktuelle Informationen zu häufigen Krankheitsbildern sowie wichtigen Gesetzen vermittelt werden.
Sie haben die Gelegenheit, ausgewiesenen Expert*innen zu lauschen und mit ihnen online zu diskutieren. Die DGKJP möchte damit wissenschaftliche Fortbildungsveranstaltungen auf hohem Niveau einem breiten Publikum zugänglich machen, und damit auch in Kongress-freien Zeiten aktuelle Angebote der Fort- und Weiterbildung für die Mitglieder verfügbar machen.
Sie sind herzlich eingeladen, an der Fort- und Weiterbildungsreihe „DGKJP virtuell“ teilzunehmen und mit unseren Expert*innen zu diskutieren. Die Teilnahme ist kostenfrei und richtet sich an Mitglieder sowie alle am Fachgebiet Interessierten. Die Veranstaltungsreihe wird von der Bayrischen Ärztekammer CME-zertifiziert.
Der Streaming-Link zur Veranstaltung wird 15 Minuten vor Beginn freigeschaltet und ist dann über den Button "Zum Live-Stream" abrufbar. Eine vorherige Registrierung ist nicht notwendig.
Aktuelle Online-Veranstaltungen
Dissoziative Störungen und Konversionsstörungen
Prof. Dr. Romuald Brunner | 20.11.2024 | 16:00 - 17:30 Uhr
Von Jaspers zur modernen Psychopathologie
Prof. Hans-Henning Flechtner | 11.12.2024 | 16:00 - 17:30 Uhr
Mittwoch, 12.06.2024
Prof. Dr. med. Tobias Renner | E-Health bei Kinder- und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen
Prof. Dr. med. Tobias Renner
Prof. Dr. med. Tobias Renner ist Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter der Universität Tübingen. Er ist weiterhin stellvertretender ärztlicher Direktor des Kompetenzzentrums für Essstörungen in Tübingen (KOMET) sowie des Zentrums für psychische Gesundheit, Universitätsklinikum Tübingen.
Die Schwerpunkte seiner Forschung liegen in den Bereichen ADHD, E-Mental Health sowie Obsessive Compulsive Disorders.
Die zunehmende Zahl von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen stellt eine hohe Herausforderung in der Versorgung dar. Mit besonderen Erwartungen werden daher die Entwicklungen im Bereich E-Health betrachtet, angefangen von Tele-psychotherapie bis zu Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA), verbunden, die auch aktuell durch gesundheitspolitische Initiativen starke Förderung erhalten. Dennoch bestehen bei vielen Therapeut:innen starke Vorbehalte gegenüber dem Einsatz von E-Health-Anwendungen in der klinischen Praxis. Im Vortrag werden die Möglichkeiten wie auch die aktuell bestehenden Limitationen im Einsatz von E-Health-Anwendungen differenziert. Es wird ein Überblick über die verschiedenen Formen von E-Health-Anwendungen zur psychischen Gesundheit mit den jeweiligen Definitionen gegeben. Dabei wird auf die grundsätzlichen Möglichkeiten von E-Health-Anwendungen in Prävention, Diagnostik und Therapie eingegangen. Dabei wird der aktuelle Stand zu DiGAs für den Einsatz für psychische erkrankte Kinder und Jugendliche berichtet. Der Einsatz von Tele-Psychotherapie hat insbesondere seit Beginn der Sars-CoV2-19-Pandemie eine spürbare Verbreitung in der klinischen Praxis erhalten. Der wissenschaftliche Stand zur Evidenz von Telepsychotherapie wird berichtet und Eckpunkte der praktischen Anwendung, von technischen Voraussetzungen der Anwendbarkeit, Gestaltung der Therapiesitzungen, bis zu Grundlagen des Datenschutzes werden diskutiert. E-Health-Anwendungen werden sich zunehmend als wertvolle Ergänzung in der Versorgung von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen etablieren und neue Versorgungswege ermöglichen.
Veranstaltungen der Fort-und Weiterbildungsreihe 2024
Prof. Dr. med Christoph U. Correll | Nutzen und Risiken von Antipsychotika bei Kindern und Jugendlichen mit schweren psychiatrischen Erkrankungen
13.03.2024
Prof. Dr. med Christoph U. Correll ist Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow, Berlin, Deutschland. Er ist weiterhin Professor für Psychiatrie und Molekularmedizin an der Donald and Barbara Zucker School of Medicine at Hofstra/Northwell in New York, USA.
Der Schwerpunkt seiner Forschung und klinischen Arbeit liegt bei der Identifikation, Charakterisierung und Behandlung von Patienten mit schweren psychischen Störungen. Hierbei hat er sich neben Erkrankungen im Erwachsenenalter auch auf das Adoleszenzalter (13-25 Jahre) spezialisiert, in dem die meisten schweren psychischen Erkrankungen zum Ausbruch kommen. Des Weiteren spezialisiert sich Prof. Correll auf die Früherkennung und Behandlung von Menschen mit Hochrisikosyndrom für Psychosen und eine bipolare Störung, Psychopharmakologie, klinische Studien, Epidemiologie, Meta-analysen, sowie auf die Schnittstelle zwischen körperlicher und psychischer Gesundheit.Prof. Correll hat mehr als 900 wissenschaftliche Artikel publiziert, hat als Mitglied zahlreicher Expertengremien an Konsensusempfehlungen bei verschiedenen psychischen Störungen mitgewirkt und hat mehr als 40 nationale und internationale Auszeichnungen und Anerkennungen für seine Arbeit erhalten.
Etwa ein Drittel der psychischen Störungen wird vor dem 14. und etwa die Hälfte vor dem 18. Lebensjahr diagnostiziert. Früh einsetzende psychiatrische Störungen gehen häufig mit schweren Symptomen und funktionellen Beeinträchtigungen einher und erfordern neben psychosozialen Maßnahmen auch eine pharmakologische Behandlung. Antipsychotika sind bei mehreren schweren psychiatrischen Störungen indiziert und werden bei noch mehr Störungen off-label eingesetzt.
In diesem Vortrag wird ein Überblick über die randomisierten kontrollierten Wirksamkeits- und Sicherheitsnachweise, unterstützt durch Sicherheitsdaten aus naturalistischen Studien, für Wirkstoffe gegeben, für die Antipsychotika in einigen Ländern zugelassen sind. Dazu gehören pädiatrische Schizophrenie, bipolare Manie, Aggression/Irritabilität bei Autismus-Spektrum-Störungen, und Tourette-Syndrom. Kurzfristige Effektivitäts- und Verträglichkeitsdaten deuten auf keine qualitativen Unterschiede zu Studien mit Erwachsenen hin, aber auf eine größere Anfälligkeit für die meisten unerwünschten Wirkungen von Antipsychotika, wobei die Unterschiede zwischen den Antipsychotika bei den unerwünschten Wirkungen größer sind als bei der Wirksamkeit. Längerfristige Sicherheitsdaten bei Jugendlichen sind dennoch dringend erforderlich. Antipsychotika sollten erst dann bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden, wenn andere, sicherere Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, und sollten dann durch eine proaktive, routinemäßige Überwachung der Wirksamkeit, insbesondere aber auch der der Sicherheitsaspekte beinhalten.
Prof. Dr. med. Veit Roessner | Tic-Störungen inklusive Tourette-Syndrom - State of the Art in Diagnostik und Behandlung
14.02.2024
Prof. Dr. med. Veit Roessner
geboren am 26.08.1973
verheiratet, 3 Kinder
studierte 1993-2000 Humanmedizin an der
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen
absolvierte 2000-2006 seine Weiterbildungszeit an der
Uniklinik Erlangen und der Uniklinik Göttingen
seit 2006 Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie
2008 Habilitation zu Tic-Störungen und
Aufmerksamkeit-Defizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
01.07.2009 Ärztlicher Direktor der KJP und damit verbundene
Ernennung zum Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Der Vortrag gibt einen umfassenden Überblick über Diagnostik, Prävalenzen, Etiohpathophysiologie, Behandlung und Prognose der Tic-Störungen inklusive des Tourette-Syndroms unter besonderer Berücksichtigung der häufig koexisitierenden Störungen und möglicher Differentialdiagnosen. Dadurch wird der Zuhörer befähigt, in seinem klinischen Alltag eine bessere Diagnostik durchzuführen und die Indikation für und Auswahl der Behandlung durchzuführen.
Veranstaltungen der Fort-und Weiterbildungsreihe 2023
Prof. Dr. Rainer Thomasius | Gefangen in virtuellen Welten: Internetbezogene Störungen bei Kindern und Jugendlichen
13.12.2023
Prof. Dr. med. Rainer Thomasius ist der Ärztliche Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Er ist Vorsitzender der Gemeinsamen Suchtkommission der kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaft und Verbände (DGKJP, BAG KJPP, BKJPP), Past-President der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) und Mitautor der S3-Leitlinien Tabak-, Alkohol- und Medikamentenbezogene Störungen sowie Koordinator der S3- Leitlinie Cannabisbezogene Störungen. Aktuell leitet er im Rahmen des BMBF-Förderschwerpunktes „Kinder- und Jugendgesundheit“ den Forschungsverbund “IMAC-Mind: Improving Mental Health and Reducing Addiction in Childhood and Adolescence through Mindfulness: Mechanisms, Prevention and Treatment” sowie den vom G-BA Innovationsfonds geförderten Verbund „Res@t - Ressourcenstärkendes Adoleszenten- und Eltern-Training bei Medienbezogenen Störungen“.
Im Zuge einer rasanten Entwicklung in der digitalen Welt ist die Nutzung des Internets zur Unterhaltung, Kommunikation und Informationsgewinnung nicht mehr wegzudenken. 12- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche, die als digital natives von ihren ersten Lebensjahren an mit digitalen Medien aufwachsen, haben eine besondere Affinität zum Internet.
Altersunangemessene Inhalte und soziale Interaktionen im Internet können mit Gefahren für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen einhergehen, beispielsweise durch die Demonstration ungefilterter Gewaltdarstellungen, die Vermittlung von Verschwörungstheorien, eigene Erfahrungen mit Cybermobbing und Cybergrooming oder die Identifikation mit dysfunktionalen Rollenvorbildern. Den suchtfördernden Mechanismen der digitalen Medien wohnt ebenfalls ein Gefährdungspotenzial inne. Mit der Aufnahme der Computerspielstörung in die ICD-11 ist die erste internetbezogene Störung als psychische Erkrankung international anerkannt worden. Adoleszente sind von dieser Störung überproportional häufig betroffen.
Im Vortrag wird das Internetnutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen auch unter den Bedingungen des Lockdowns im Verlauf der Corona-Pandemie dargestellt. Welche personalen, familialen, sozialen und medialen Risikofaktoren tragen zu einer riskanten oder pathologischen Nutzung von digitalen Spielen, sozialen Foren und Videodiensten bei? Welche evidenzbasierten Ansätze stehen den Therapeutinnen und Therapeuten in der Diagnostik, Behandlung und Prävention der internetbezogenen Störungen zur Verfügung? Welcher Elternrat lässt sich aus entwicklungspsychopathologischer Sicht ableiten?
Prof. Dr. Beate Herpertz-Dahlmann | Von „shoulder to shoulder“ anstatt von “head to head”: innovative Behandlungsstrategien bei Patienten und Patientinnen mit Anorexia nervosa und deren Eltern
18.10.2023
Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann ist die Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der RWTH Aachen.
Sie forscht bereits seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der Essstörungen, vor allem zur kindlichen und adoleszenten Anorexia nervosa und ist Mitautorin der S3-Leitlinie „Essstörungen“. Sie hat die weltweit einzige kontrollierte Studie zur tagesklinischen Behandlung durchgeführt und leitet zurzeit eine ähnlich große Studie zum Vergleich von stationärer bzw. tagesklinischer Behandlung und Home treatment.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die biologische Forschung bei der AN, wo sie aktuell eine europäische Studie zur Darm-Gehirn-Achse zusammen mit Herrn PD Dr. Jochen Seitz durchführt.
In dieser Veranstaltung sollen kooperative Behandlungsstrategien bei der kindlichen und jugendlichen Anorexia nervosa aufgezeigt werden. Der Vortrag behandelt das Vorgehen im stationären Bereich wie den Nahrungsaufbau, die Integration von Sport, das Erlernen des selbstständigen Essens sowie die Bestimmung eines gesunden Gewichtes.
Ein zweiter Teil befasst sich mit der Indikation und Durchführung der tagesklinischen Behandlung: ab wann, wie lange, Besuch der Heimatschule sowie notwendige Ausschluss- und Abbruchkriterien.
Im dritten Teil geht es um die Durchführung des Home treatments und die Integration des multiprofessionellen Teams mit seinen verschiedenen Aufgaben. Es werden die Vorteile dieser Behandlungsform, aber auch mögliche Stolpersteine aufgezeigt.
Einen wichtigen Teil der Vortragszeit nimmt die Einbeziehung der Eltern ein, d.h. Psychoedukation, Training auf der Station, elterliche Aufgaben während der tagesklinischen Behandlung sowie die intensive Zusammenarbeit im Home treatment.
Wesentliches Ziel des Vortrags ist die Vermeidung von Restriktion und Zwang bei der Behandlung der jugendlichen Anorexia nervosa sowie die Wahrnehmung der Eltern als Kotherapeuten.
Prof. Dr. Georg Romer | Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter: Aktuelle Paradigmenwechsel, ethische Maßgaben und Behandlungsempfehlungen
20.09.2023
Prof. Dr. Georg Romer ist seit 2013 ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie des Universitätsklinikums Münster. Er ist außerdem Lehrstuhlinhaber für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster.
Schwerpunkte seiner klinischen Arbeit sind Psychische und Psychosomatische Störungen in den ersten Lebensjahren; Essstörungen; Psychotraumatologie und Migration; Geschlechtsdysphorie.
Wissenschaftliche Schwerpunkte seiner Arbeit sind Kinder kranker Eltern; Frühe Kindheit und klinische Bindungsforschung; Psychotherapie- und Versorgungsforschung, Geschlechtsdysphorie.
Zunehmend mehr Jugendliche präsentieren sich in vielfältiger Weise als "transgender" oder „queer“, was sich auch in der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung widerspiegelt. Dieser Vortrag gibt einen Überblick über den aktuellen Wissensstand zur Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter.
Ausgehend von dem in der ICD-11 vollzogenen Paradigmenwechsel, wonach die Geschlechtsinkongruenz keine psychische Störung ist, werden die wichtigsten sich daraus ergebenden Neuerungen für den professionellen Umgang mit Geschlechts-Nonkonformität bei Kindern und Jugendlichen und die daraus sich ergebende psychotherapeutische Haltung diskutiert.
Im Vordergrund steht dabei die Unterstützung gender-nonkonformer Personen darin, ein Leben im empfundenen Geschlecht zu führen. Bei einer Geschlechtsinkongruenz im Kindesalter besteht meist kein weiterer Behandlungsbedarf. Im Jugendalter kann die fortschreitende körperliche Reifung zu einem anhaltenden geschlechtsdysphorischen Leidensdruck führen, zu dessen Behandlung in Verbindung mit einer sozial unterstützten Transition auch somatomedizinische Interventionen zum Aufhalten der pubertären Reifung und zur Geschlechtsangleichung zur Anwendung kommen.
Wichtige Aspekte der psychotherapeutischen Begleitung einer Transition im Jugendalter sowie zu prüfende Voraussetzungen für die Indikationsstellung zu somatomedizinischen Interventionen und hierfür wichtige ethischen Maßgaben werden im Lichte aktueller fachlicher Kontroversen diskutiert.
Prof. Dr. Johannes Hebebrand | Die Aufhebung der hormonellen Anpassung an den Hungerzustand als zentrales Ziel der Therapie der Anorexia nervosa?
10.05.2023
Prof. Dr. Johannes Hebebrand ist Leiter der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am LVR-Uniklinikum Essen. Wissenschaftliche Schwerpunkte sind genetische Mechanismen bei Adipositas und Essstörungen ebenso wie die Neuroendokrinologie der Anorexia nervosa mit dem Hormon Leptin als Schwerpunkt.
In Leitlinien zur Anorexia nervosa (AN) wird die Restitution des Körpergewichts als das zentrale Ziel der Behandlung ausgewiesen. Bei genauerer Betrachtung der in den Leitlinien hierzu verankerten Evidenz ist jedoch zu konstatieren, dass diese zentrale Empfehlung nicht ausreichend evidenzbasiert abgesichert erscheint. Klinisch sind die Besserungen der Patient*innen im Verlauf der Gewichtszunahme in diversen Studien eindeutig belegt; die gedankliche Beschäftigung mit Essen/Gewicht lässt beispielsweise nach, Stimmung und Konzentrationsprobleme bessern sich. Da aber parallel zur Gewichtszunahme Psychotherapie und andere therapeutische Maßnahmen erfolgen, lässt sich der Effekt der Gewichtszunahme nicht isoliert nachweisen.
Die Minnesota Starvation Study (1944/1945) zeigte eindrücklich das Auftreten psychischer Veränderungen unter einer Starvation ebenso wie deren Rückgang im Rahmen der Realimentation auf. Die Starvations-induzierten Veränderungen waren so ausgeprägt und einheitlich, dass Keys und Mitarbeiter diese als ‚Starvationsneurose‘ bezeichneten; es gibt deutliche Überlappungen zu Symptomen einer AN.
Wenn folglich eine Starvation zu psychischen Veränderungen führt und diese unter Gewichtzunahme rückläufig sind, müssten wir besser verstehen, weshalb die Symptomatik sich bessert. Unabhängig hiervon ergeben sich durch den Vergleich der Symptomatik der Starvationsneurose mit der der Anorexia nervosa psychoedukative Ansätze, die für Patient*innen und deren Eltern die Notwendigkeit der Gewichtszunahme transparenter machen.
Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne | Aktuelle Aspekte zur Diagnostik, Ursachen, Prävention und Behandlung der Lese- und/oder Rechtschreibstörung
19.04.2023
Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne ist Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des LMU Klinikums in München und hat den Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie an der LMU. Seit über 30 Jahren ist einer seiner klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkte die Entwicklungsstörungen. Seine Forschung zur Lese-Rechtschreibstörung wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Er hat Therapie- und Förderprogramme entwickelt, wie das Marburger Rechtschreibtraining und das Online-Förderprogramm Meister Cody Namagi. Außerdem koordiniert er die S3-Leitlinien zur Lese- und Rechtschreibstörung, zur Rechenstörung und zur Depression im Kindes-und Jugendalter.
Die Lese- und Rechtschreibstörungen sind häufige Entwicklungsstörungen mit einem frühen Beginn und nachhaltigen Folgen für die Betroffenen und ihre Familien. Hierzu gehören schulische Schwierigkeiten in Form von Klassenwiederholungen, Schulabsentismus, Schulabbruch und Beeinträchtigungen bei der Berufsausbildung, im Studium und im Beruf. Außerdem sind Kinder mit Lese und/oder Rechtschreibstörung häufig von Mobbing betroffen, entwickeln spezifische Angststörungen. Die Rate komorbider psychischer Belastungen und Erkrankungen, wie z.B. die ADHS, ist deutlich erhöht.
Mit der Einführung des ICD-11 werden die Lese- und die Rechtschreibstörung erstmals als eigenständige Störungen klassifiziert, was für die Praxis eine erhebliche Erleichterung darstellt, da die isolierten Störungen mit einer Prävalenz von ca. 4% häufig auftreten. Die Lese- und die Rechtschreibstörung gehören zu den neuronalen Entwicklungsstörungen, verschiedene Hirnfunktionen beim Lese- und Rechtschreibprozess sind verändert, molekulargenetische Untersuchungen unterstützen eine genetische Disposition.
Prof. Dr. Dr. Martin Holtmann | Freiheitsentziehende Maßnahmen in der KJP: Rechtliche Grundlagen, Prävention und Anwendung
22.03.2023
Prof. Dr. Dr. Martin Holtmann: Geb. 1970. Schulzeit in Münster. Studium der Medizin und Kath. Theologie in Münster, Würzburg und Padua/Italien. Seit 2010 Ärztlicher Direktor der LWL-Universitätsklinik Hamm für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Ruhr-Universität Bochum (RUB) – einer der größten Kliniken für Kinderpsychiatrie in Deutschland; Professur für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Medizinischen Fakultät der RUB.
Seine Forschungsschwerpunkte umfassen u.a. Klinik, Verlauf und Therapie affektiver Störungen und die Therapie der ADHS.
Prof. Holtmann ist Geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und Mitglied der Suchtkommission der deutschen kinderpsychiatrischen Fachgesellschaften. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.
Stationäre Behandlungen stellen für Kinder, Jugendliche und ihre Familien eine enorme Herausforderung und eine seelische Ausnahmesituation dar. Für viele geht der Klinikaufenthalt etwa mit Gefühlen von Unsicherheit und Ohnmacht einher. Gleichzeitig kann es in krankheitsbedingten Krisen zu Situationen kommen, in denen Kinder und Jugendliche sich selbst oder andere durch ihr Verhalten gefährden. Dabei geraten die Behandlungsteams oft in schwierige Abwägungsprozesse zwischen Sicherheits- und Freiheitsinteressen und werden mit unterschiedlichen Erwartungen verschiedener Akteure (Patienten, Familie, Sorgeberechtigte, Polizei, Gerichte, Jugendämter, Jugendhilfeeinrichtungen u.v.m.) konfrontiert.
In diesem Spannungsfeld ist die Kinder- und Jugendpsychiatrie auch angesichts der früheren Gewalt in Institutionen in besonderem Maße verpflichtet, die Grundrechte aller Kinder zu wahren.
Der Vortrag hat zum Ziel das Wissen um rechtliche Vorgaben und wissenschaftliche Erkenntnisse zu freiheitsentziehenden Maßnahmen zu ergänzen, klinisches Handeln kritisch zu reflektieren, die Handlungssicherheit zu verbessern, Präventionsmöglichkeiten zu vermitteln und so Einschränkungen von Persönlichkeitsrechten weitestgehend zu vermeiden.
Veranstaltungen der Fort-und Weiterbildungsreihe 2022
Prof. Dr. Tanja Legenbauer | Depressionsbehandlung heute: Altbewährtes und innovative Ansätze
14.12.2022
Prof. Dr. habil. Tanja Legenbauer, Studium der Psychologie (Frankfurt, Marburg), Promotion (Trier, 2002), Habilitation (Mainz, 2010). Approbation zur Psycholog. Psychotherapeutin (2002) mit Fachkundeerweiterung Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (2021). Seit 2011 Leiterin der Forschungsabteilung und seit 2014 Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der LWL Universitätsklinik Hamm für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Ruhr-Universität Bochum. Preisträgerin Christina Barz-Forschungspreis (2019). Vorstandsmitglied der DGKJP (seit 2022). Forschungsschwerpunkte: Ess- und Körperbildstörungen, Depression und Selbstregulation, Entwicklung u. Evaluation von Behandlungskonzepten bei den genannten Störungsbereichen.
Depressive Erkrankungen sind auch im Kindes- und Jugendalter weit verbreitet und beeinträchtigen die Lebensqualität erheblich. Zudem gehen sie mit einem hohen Risiko der Chronifizierung einher. Problematisch ist, dass depressive Symptome stellenweise nicht frühzeitig erkannt werden, da diese gerade bei jüngeren Kindern nicht dem gängigen Bild entsprechen oder im Jugendalter nicht immer einfach von alterstypischem Verhalten zu unterscheiden sind.
Bereits vor Corona waren depressive Störungen bei Kindern und Jugendlichen der häufigste Grund für einen Krankenhausaufenthalt. In der Pandemie sind die Zahlen auch für depressive Störungen weiter gestiegen.
Zur Behandlung der depressiven Störung im Kindes- und Jugendalter gibt es effektive Behandlungen: Gemäß der Leitlinien gelten Psychotherapie als auch pharmakologische Ansätze oder - je nach Schweregrad - deren Kombination als primäre Behandlungsstrategien. Die bewährten Behandlungsangebote gelten als wirksam, allerdings hat sich die Wirksamkeit trotz vieler Forschungsbemühungen nicht verbessert und ein Teil der Betroffenen kann nicht ausreichend von den angebotenen Therapien profitieren. Die Frage, wer von welcher Behandlung profitiert, bleibt weiter offen. Auch ist unklar, wann und wie ergänzende Behandlungsansätze wie Lichttherapie, Sport oder spezifische Ernährungsansätze eingesetzt werden könnten. Der Vortrag soll einen Überblick über die bewährten Behandlungsansätze vermitteln, neue Behandlungsstrategien erläutern und deren Anwendungsmöglichkeiten anhand der aktuellen Forschungslage beleuchten.
Prof. Dr. Dr. Banaschewski | Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen - ein Update
16.11.2022
Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski ist seit 2006 Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes und Jugendalters und Professor an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. Seit 2014 ist er Stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, seit 2015 Vorsitzender des European Network for Hyperkinetic Disorders (EUNEHYDIS). Von 2015 bis 2017 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP). Derzeit koordiniert er u.a. das multizentrische BMBF-Projekt ESCAlife zur Optimierung einer individualisierten, modalisierten Behandlungsstrategie für Patienten mit ADHS.
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist mit einer Prävalenz von etwa 5 % eine häufige, früh beginnende und oft persistente Entwicklungsstörung in Kindheit und Adoleszenz. Etwa 75 % der betroffenen Kinder und Jugendlichen entwickeln eine komorbide Störung, welche die Diagnostik erschwert, die Therapie verkompliziert und die Prognose verschlechtert. Die Ätiologie ist komplex, heterogen, mit hohem genetischen Einfluss und vielfältigen neurobiologischen Alterationen. Pränatale Umwelteinflüsse scheinen zudem das Risiko für ADHS zu erhöhen.
Therapiebausteine sind Psychoedukation, Verhaltenstherapie und/oder Psychopharmakotherapie. Die individuelle Indikationsstellung für therapeutische Interventionen wird beeinflusst von Schweregrad, Komorbidität, vorherigen Therapieversuchen sowie familiären, sozialen und pädagogischen Rahmenbedingungen.
Der Vortrag gibt ein Update und diskutiert verschiedene kontroverse Aspekte der Konzeptualisierung der ADHS und die damit zusammenhängenden wissenschaftlichen, klinischen und gesellschaftlichen Konsequenzen.
Prof. Dr. Jörg Fegert | Schutzkonzepte in Kliniken
Mittwoch, 19.10.2022
Prof. Dr. Jörg M. Fegert ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm, Past-Präsident und Kongresspräsident (Ulm 2017) der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) und Vorstandsmitglied (Leiter der Policy Division) und President Elect (2023-2027) der europäischen Fachgesellschaft European Society for Child and Adolescent Psychiatry (ESCAP). Er ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und Mitglied im Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Er ist darüber hinaus Vorstandsmitglied der Aktion Psychisch Kranke e.V. (APK), Präsident der Deutschen Traumastiftung e.V., Sprecher des Zentrums für Traumaforschung und Mitglied im Deutschen Komitee für UNICEF e.V. Zudem ist er Leiter des Kompetenzzentrums Kinderschutz in der Medizin in Baden-Württemberg sowie des Kompetenzbereichs Prävention Psychische Gesundheit im Kompetenznetzwerk Präventivmedizin Baden-Württemberg.
Seit dem Sommersemester 2020 hat Prof. Dr. Fegert eine Gastprofessur an den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel inne. Er ist European Editor des Journal of Child and Adolescent Psychopharmacology (www.liebertpub.com/cap) und war bis 2021 Editor-in-Chief des von ihm mit gegründeten Online Journals Child and Adolescent Psychiatry and Mental Health (CAPMH) (www.capmh.com).
Prof. Dr. Fegerts Arbeitsschwerpunkte liegen u.a. in den Themenbereichen Vernachlässigung, Misshandlung, sexueller Missbrauch, Frühe Hilfen, psychosomatische Störungen im Kindes- und Jugendalter, Verhältnis Jugendhilfe/Jugendpsychiatrie und in anderen sozialrechtlichen sowie forensischen Fragen. Seine Klinik verfügt über einen eigenen Schwerpunkt E-Learning und Dissemination insbesondere im Bereich des Kinderschutzes und der Traumaforschung.
Bekannt gewordene Fälle von (sexuellen) Übergriffen in Institutionen sowie die Ergebnisse von Befragungen zeigen, dass diese Thematik auch im medizinisch-therapeutischen Bereich eine Rolle spielt. Bei genauerer Betrachtung der Fälle wird deutlich, dass es im Kontext von Krankenbehandlung systemische Gefährdungsfaktoren für (sexuelle) Übergriffe gibt. Es ist deshalb wichtig, dass sich medizinische Einrichtungen mit dieser Problematik auseinandersetzen und Schutzkonzepte entwickeln. Ein Schutzkonzept ist ein System von Maßnahmen, die für einen besseren Schutz vor (sexuellen) Übergriffen in der Organisation sorgen. Auch wenn die Entwicklung von Schutzkonzepten Zeit und Ressourcen benötigt, bringt sie für Institutionen viele Vorteile, wie zum Beispiel ein erhöhtes Sicherheitsgefühl für die Fachkräfte, weil diese somit wissen, wie im konkreten Fall vorgegangen werden muss.
Die Auseinandersetzung mit solchen Fällen sowie die Entwicklung von Schutzkonzepten war in den Institutionen des medizinisch-therapeutischen Bereiches über lange Zeit ein eher marginalisiertes Thema. Mit der Verankerung der Verpflichtung zur Erstellung von Schutzkonzepten in der Qualitätsmanagement-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) müssen sich jedoch nun alle Kliniken und Praxen dieser Thematik stellen.
Der Vortrag gibt einen Überblick auf mögliche Gefährdungsfaktoren und Risikosituationen im medizinisch-therapeutischen Bereich, stellt Struktur und Elemente von Schutzkonzepten vor und gibt Hinweise zur praktischen Umsetzung. Im Fokus stehen hierbei die Elemente, die der G-BA in der Qualitätsmanagement-Richtlinie vorgibt.
Prof. Dr. Michael Kölch | SGB VIII
Mittwoch, 21.09.2022
Prof. Dr. Michael Kölch ist Lehrstuhlinhaber für Kinder- und Jugendpsychiatrie und ‑psychotherapie an der Universität Rostock und Direktor der Klinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter der Universitätsmedizin Rostock. Er ist der aktuelle Präsident der DGKJP und Vorsitzender der Gemeinsamen Kommission Jugendhilfe, Arbeit, Soziales und Inklusion der kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaft und Fachverbände.
Seine Arbeitsschwerpunkte sind affektive Störungen bei Minderjährigen, Störung des Sozialverhaltens/psychisch kranke Kinder in der Jugendhilfe, Hochrisikopopulationen für psychische Störungen wie Kinder aus psychisch belasteten Familien und die Kooperation von KJP und Jugendhilfe, sowie Psychopharmakotherapie und Psychopharmakoepidemiologie bei Minderjährigen, forensische Kinder- und Jugendpsychiatrie und ethische und rechtliche Fragestellungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Prof. Kölch ist Vorstandsmitglied der BAG kjpp, Mitglied in der AGNP, APK, der American Academy of Child and Adolescent Psychiatry (AACAP), im European College of Neuropsychopharmacology (ECNP), Mitglied der Kinderarzneimittelkommission beim BfArM, sowie Mitglied des Vorstandes der Stiftung „Achtung! Kinderseele“. Er ist im Beirat des DIfU (Bund trifft kommunale Praxis) im Rahmen des SGB VIII.
Im letzten Jahr trat mit dem Kinder- und Jugendhilfestärkungsgesetz (KJSG) die Reform des SGB VIII in Kraft. Über die Reform war viele Jahre diskutiert worden. Am Reformprozess war die Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie beteiligt.
Die Reform stellt einen großen Schritt auf dem Weg zu einer „inklusiven Lösung“ dar, nämlich der Zusammenführung der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche unter einem Dach. Dieser Teil der Reform ist sicherlich der umfassendste und die diesbezüglichen Regelungen werden auch die Kooperation von Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe im nächsten Jahrzehnt mit berühren. Neben diesem Aspekt beinhaltet das KJSG aber auch viele andere Regelungen, die z.B. Familien mit psychischen Erkrankungen betreffen, den Kinderschutz sowie Aspekte zu möglichen „Pool“-Lösungen bei Hilfen zur Erziehung.
Im Vortrag sollen die wichtigsten Änderungen im Rahmen der SGB VIII Reform vorgestellt werden und Auswirkungen auf die Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgezeigt werden bzw. dargelegt werden, inwieweit auch unsere Patient:innen von den Neuregelungen profitieren können.
Prof. Dr. med. Rainer Thomasius | Substanzbezogene Störungen bei Kindern und Jugendlichen
Mittwoch, 20.07.2022
Prof. Dr. med. Rainer Thomasius ist der Ärztliche Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Er ist Vorsitzender der Gemeinsamen Suchtkommission der kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaft und Verbände (DGKJP, BAG KJPP, BKJPP), Past-President der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) und Mitautor der S3-Leitlinien Tabak-, Alkohol- und Medikamentenbezogene Störungen sowie Koordinator der S3- Leitlinie Cannabisbezogene Störungen. Aktuell leitet er im Rahmen des BMBF-Förderschwerpunktes „Kinder- und Jugendgesundheit“ den Forschungsverbund “IMAC-Mind: Improving Mental Health and Reducing Addiction in Childhood and Adolescence through Mindfulness: Mechanisms, Prevention and Treatment” sowie den vom G-BA Innovationsfonds geförderten Verbund „Res@t - Ressourcenstärkendes Adoleszenten- und Eltern-Training bei Medienbezogenen Störungen“.
Substanzbezogene Störungen (SUD) gehören zu den häufigen psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter. Die Transmissionsrate in das Erwachsenenalter ist hoch. SUD gehen bereits im Kindes- und Jugendalter mit körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen, nachhaltigen Störungen der altersgebundenen Entwicklungs- und Veränderungsprozesse, Schulversagen sowie sozialer Desintegration der Betroffenen einher. Der Bedarf an früh ansetzenden präventiven und therapeutischen Maßnahmen ist entsprechend hoch.
Methodisch gut untersuchte Präventionsprogramme beziehen sich vorwiegend auf Alkohol und Tabak und seltener auf Cannabis. Die Effektstärken liegen im kleinen bis mittleren Bereich mit deutlichem Übergewicht an universellen Programmen. Jüngst zeigen individualisierte indizierte Präventionsmaßnahmen günstige Effekte. In der kinder- und jugendpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Suchtbehandlung weisen Motivationsförderung, Kognitive Verhaltenstherapie, Kontingenzmanagement und Familientherapie neben Fachtherapien, Schulunterricht und berufsorientierenden Maßnahmen erwünschte Effekte auf. In angloamerikanischen Studien sind 20 – 40% der Jugendlichen mit SUD 6 Monate nach Behandlungsbeendigung abstinent. Entsprechende Studien fehlen in Deutschland. Es besteht hoher Bedarf an Therapie- und Versorgungsforschung.
Prof. Dr. Beate Herpertz-Dahlmann | Aktuelle Behandlungsaspekte bei der adoleszenten und kindlichen Anorexia nervosa
27. April 2022
Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann ist die Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der RWTH Aachen. Sie forscht bereits seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der Essstörungen, vor allem zur kindlichen und adoleszenten Anorexia nervosa und ist Mitautorin der S3-Leitlinie „Essstörungen“. Sie hat die weltweit einzige kontrollierte Studie zur tagesklinischen Behandlung durchgeführt und leitet zurzeit eine ähnlich große Studie zum Vergleich von stationärer bzw. tagesklinischer Behandlung und Home treatment. Ein weiterer Schwerpunkt ist die biologische Forschung bei der AN, wo sie aktuell eine europäische Studie zur Darm-Gehirn-Achse zusammen mit Herrn PD Dr. Jochen Seitz durchführt.
Die Anorexia nervosa hat eine hohe Chronifizierungsrate und ist die psychische Störung mit der höchsten Mortalität von allen psychischen Erkrankungen. Ihre Inzidenz hat vor allem im Kindesalter, aber auch in der Jugend zugenommen, wozu in jüngster Zeit vor allem die Corona-Pandemie beigetragen hat. Was sind die Gründe dafür?
Die Klassifikation nach ICD-11 soll besprochen und ihre Bedeutung für die klinische Praxis diskutiert werden. Bei der Diagnostik wird auf die Empfehlungen der S3-Leitlinien eingegangen. Der Vortrag stellt neue Ergebnisse aus der Grundlagenforschung, z.B. zu genetischen und immunologischen Befunden und zu Erkenntnissen der Bedeutung der Darm-Gehirn-Interaktion bei der Anorexia nervosa dar, die vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft neue Perspektiven eröffnen können.
Viele Experten aus Klinik und Forschung beklagen in jüngster Zeit den mangelnden Fortschritt bei den Behandlungsmethoden. Aus diesem Grund sollen Hinweise für die Ernährungstherapie, der Festlegung des Zielgewichtes sowie für die psychotherapeutische Behandlung gegeben werden. Wesentlich ist die intensive Einbeziehung der Eltern in die Behandlung. Die deutsche Kinder- und Jugendpsychiatrie hat weltweit eine der längsten stationären Behandlungsdauern, die aber nicht zu besseren Behandlungsergebnissen als in anderen Ländern führt. Es werden daher alternative Behandlungskonzepte wie die tagesklinische Behandlung und das Home treatment aufgezeigt, die aus unserer Sicht effektivere und kostengünstigere Alternativen sind.
Stefanie Ulrich | Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG)
30. März 2022
Stefanie Ulrich ist Volljuristin und ganzheitlich-systemische Coachin. Mit ihrer Erfahrung als Justiziarin einer großen Kommunalverwaltung, Schwerpunkt Sozial- und Jugendhilferecht, berät und begleitet sie Träger der freien und öffentlichen Jugendhilfe in Veränderungsprozessen, vorrangig bei der Umsetzung der großen Lösung. Mit ihrer Methode des Constitutional Coachings schult und berät sie bundesweit mit dem Ziel vorhandene Möglichkeiten zu nutzen, Komplexität zu reduzieren und so die fachliche Arbeit in den Fokus zu rücken. Zudem arbeitet Sie leidenschaftlich gern mit Menschen an der Umsetzung von Projekten und ist überzeugte Zukunftsgestalterin (www.stefanie-ulrich-beratung.de).
Das Verfahrensrecht des Bundesteilhabegesetzes ist mit seinem Turbo-Fristen, den Vorgaben zur Trägerkoordination und der Idee Hilfen aus einer Hand zu ermöglichen nun in seinem vierten Jahr angekommen. Der Blick in die Praxis zeigt, dass es an vielen Stellen echte Erfolge gibt, u.a. auch hinsichtlich der Standardisierung von Bedarfsfeststellung, der Umsetzung echter Personenzentrierung und hinsichtlich des Umdenkens hinein in das bio-psycho-soziale Modell. Hinsichtlich der zeitnahen und abgestimmten Leistungsgewährung eines oder gar mehrerer Rehabilitationsträger sehen wir jedoch allerorts erhebliche Umsetzungs- und Vollzugsdefizite.
Ziel dieses Vortrags ist es, die Grundlogik des Bundesteilhabegesetzes, die Vorgaben des Teilhabeplanverfahrens und der Trägerkoordination samt dem gelten Fristenregime zu überblicken und zu eruieren, wo Anknüpfungspunkte für die Fachpraxis sind. Daraus ergeben sich dann logische Anschlusspunkte für die geltenden und bevorstehenden Regelungen des KJSG.
Veranstaltungen der Fort-und Weiterbildungsreihe 2021
Prof. Dr. Marcel Romanos | Angststörungen
30. Juni 2021
Prof. Dr. Marcel Romanos ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikums Würzburg.
Angsterkrankungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen im Kindes-, Jugend-, sowie Erwachsenenalter. Der Beginn liegt typischerweise im Kindes- und Jugendalter. Die Ausprägung reicht von isolierten phobischen Störungen bis hin zu schweren chronifizierten Formen, die oftmals mit ausgeprägter Komorbidität assoziiert sind. Oftmals vergehen Jahre vom Auftreten erster Symptome bis hin zur Diagnoseerstellung und Therapieinitiierung. Obgleich hoch wirksame Behandlungsoptionen bestehen, verursachen Angststörungen erhebliche psychosoziale und kognitive Folgestörungen sowie direkte und indirekte sozio-ökonomische Kosten. In der DGKJP-Fortbildungsveranstaltung wird der aktuelle Wissensstand zu Ursachen, Verlauf und Therapie von Angststörungen dargestellt. Auf die aktuellen Änderungen im ICD-11 wird eingegangen.
Prof. Dr. Christine M. Freitag | S3-Leitlinie Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter
8. September 2021
Prof. Dr. Christine M. Freitag ist Expertin für die Diagnostik und Behandlung von Neuroentwicklungsstörungen (ASS, ADHS, Sprache) sowie Störungen des Sozialverhaltens und Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt am Main. Dort ist auch ein Autismus-Therapie- und Forschungszentrum angesiedelt, an dem Diagnostik, Therapie und translationale, klinische Forschung für Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen angeboten wird.
Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) zeigen eine Lebenszeitprävalenz von ca. 1% und gehen mit zahlreichen weiteren psychischen und somatischen Erkrankungen einher. Wesentlich hinsichtlich der Förderung, des Verlaufs sowie der Lebensqualität von Familien und ihren Kindern mit ASS sind eine frühzeitige Diagnose, die indizierte Diagnostik weiterer komorbider psychischer und somatischer Störungen über die Lebensspanne sowie eine gute Interventionsplanung und –umsetzung.
Der Vortrag geht deshalb neben einer Einführung in die Diagnostik insbesondere auf die evidenzbasierte Therapie der Kernsymptomatik sowie ausgewählter zusätzlicher Therapieziele (Sprache, komorbide psychische Störungen) ein. Zur individuellen Vorbereitung ist ein Blick in die zugehörigen AWMF-S3-Leitlinien (Teil 1: Diagnostik; Teil 2: Therapie) zu empfehlen, die auf der Homepage der AWMF heruntergeladen werden können.
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Susanne Walitza | S3-Leitlinie Zwangsstörungen
10. November 2021
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Susanne Walitza ist Lehrstuhlinhaberin und Ärztliche Direktorin des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes des Kantons Zürich (KJPD). Die Kinder- und Jugendpsychiaterin und Psychologin war zuvor an der Universitätsklinik Würzburg, wo sie nach Ihrer Spezialisierung als Kinder- und Jugendpsychiaterin in leitender Funktion sowohl in Klinik als auch in der Forschung tätig war. Die akademische Nachwuchsförderung ist neben der Klinischen Versorgung eines ihrer wichtigsten Ziele und eine Herzensangelegenheit.
Obwohl Zwangsstörungen schon im Kindes- und Jugendalter zu den häufigsten psychischen Störungen gehören, werden sie oftmals erst sehr spät erkannt. Viel zu häufig kann es daher viele Jahre dauern, bis die Betroffenen professionelle Hilfe aufsuchen. Die Studienlage zeigt deutlich, dass der frühe Behandlungsbeginn einer der wichtigsten positiven prognostischen Faktoren für den unmittelbaren Behandlungserfolg, aber auch für den gesamten Verlauf ist. Leider werden evidenzbasierten Methoden oftmals zu spät und leider bei bis zu 50% der Betroffenen in den ersten Jahren nicht eingesetzt.
Die vorliegende S3 Leitlinie soll die Evidenz zu Diagnostik und Therapie von Zwangsstörungen im Kindes- und Jugendalter anwendergerecht zusammenfassen und dazu beitragen, die Diagnostik und Behandlung von Zwangsstörungen im Kindes- und Jugendalter nachhaltig zu verbessern.
Bei dem Vortrag werden wir neben den wichtigsten klinischen Aspekten der Leitlinie im Besonderen auf die Neuerungen eingehen, wie technikunterstützte Verfahren, Intensivbehandlung oder auch zur Frage der medikamentösen Augmentation Stellung nehmen.
Wir freuen uns auf eine lebhafte Diskussion und auch über Ideen wie wir die Leitlinie weiter verankern können.
Prof. Dr. Anja Görtz-Dorten | Störungen des Sozialverhaltens
8. Dezember 2021
Prof. Dr. Anja Görtz-Dorten leitet gemeinsam mit Priv.-Doz. Dr. Christopher Hautmann den Bereich Evaluation im AKiP und ist zudem Leiterin der Forschungsambulanz. Gegenwärtig leitet sie mehrere Forschungsprojekte zur Therapie von Kindern mit aggressiven Verhaltensstörungen und affektiven Dysregulationen. Hinzu kommt ein multizentrisches Projekt zu transdiagnostischen psychischen Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen sowie psychosozialen Risikofaktoren (TRADIA), an dem mehrere Forschungsverbünde aus dem BMBF-Förderschwerpunkt zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen teilnehmen.
Bei den oppositionell-aggressiven Verhaltensstörungen haben sich in den letzten Jahren konzeptionelle Veränderungen durchgesetzt, die auch in die Klassifikationssysteme von ICD-11 und DSM-5 eingegangen sind. Kognitiv-behaviorale Ansätze zählen laut neueren empirischen Studien und Metaanalysen zu den wirksamsten und am besten evaluierten Therapieverfahren bei Störungen des Sozialverhaltens. Modular aufgebaute Therapieprogramme sind entwickelt worden. Randomisierte Kontrollgruppenstudien weisen deren Wirksamkeit nicht nur im Vergleich zu nicht behandelten Kontrollgruppen, sondern auch im Vergleich zu alternativen Interventionen nach.
Der Einsatz von digitalen Technologien zur Unterstützung von Therapie steht erst am Anfang; er kann jedoch möglicherweise die Attraktivität der Therapieformen und die Generalisierung von Therapieeffekten unterstützen. Ebenfalls am Anfang steht die Überprüfung der Wirksamkeit der Interventionen in der klinischen Routineversorgung.
Einblicke in die praktische therapeutische Umsetzung sowohl von einzelnen Interventionsmodulen und von digitalen Anwendungen werden gegeben. Die evidenz- und konsensbasierten S3-Leitlinien zur Diagnose und Therapie von Störungen des Sozialverhaltens unterstützen die aufgezeigten Entwicklungen. Allerdings stehen Strategien zur Unterstützung der Implementierung dieser Leitlinien und zur Überprüfung ihrer Effekte in der Routineversorgung noch aus. Die Weiterentwicklung der Leitlinie soll als „Living Guideline“ mit jährlicher Prüfung und Fortschreibung erfolgen.