Krise!? Wandel!

Der XXXVIII DGKJP Kongress in Rostock mit dem Leitmotto „Krise!? Wandel!“ hatte 2081 Teilnehmer:innen. Er war damit der größte Kongress der DGKJP seit Bestehen, und erstmalig konnte auch die Jahrestagung der BAG PED KJPP integriert sowie der Selbsthilfetag assoziiert werden. Besonders erfreulich war, dass der Nachwuchs auf dem Kongress sehr präsent war: mit 124 DGKJP - Stipendiat:innen, die sich als Nachwuchs für die KJPP interessieren, konnten damit seit 2019 die meisten Stipendien vergeben werden. Parallel fand zudem das Facharztrepetitorium statt, so dass der Nachwuchs sowohl klinisch wie wissenschaftlich eine intensive Fortbildungswoche erleben konnte. Das überaus rege Interesse verdeutlicht die Relevanz gesellschaftlicher und fachbezogener Veränderungen, die das Kongressprogramm inhaltlich prägten. In insgesamt 223 wissenschaftlichen Veranstaltungen mit 702 Vorträgen und Postern und 251 Stunden intensivem und abwechslungsreichem Input wurde die gesamte Breite des Fachs abgebildet und mit Schwerpunktthemen auch essentielle Veränderungen diskutiert.
Von besonderer Bedeutung waren auch die Symposien mit kooperierenden Fachgesellschaften, Organisationen oder Verbänden, wie der BAG KJPP, BKJPP, der BPtK, der DGPPN, der DGPS, der AGJ oder dem Bundesjugendkuratorium. Die eingeladenen (internationalen) Referent:innen warfen einen Blick auf das Kongressmotto unter dem Aspekt sowohl des Aufwachsens von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, wie aus Forschungsperspektive, was für das Fachgebiet in Zukunft wichtig sein wird. Dass es auch kontroverse Themen gab machte den Kongress lebendig. Die überragende Teilnehmer:innenzahl, die weit über den Erwartungen lag, führte sogar bei einzelnen Veranstaltungen dazu, dass die Raumkapazitäten an ihre Grenzen gelangten. Auch dies zeigt, dass das Interesse an Forschung, klinischen Perspektiven und fachlichen Debatten in unserem Fach so rege ist wie nie!


Eröffnungsveranstaltung
Den XXXVIII DGKJP Kongresses 2024 eröffnete der Kongresspräsident Prof. Dr. Michael Kölch. Er wies auf die Veränderungen im Fach und auf Gefahren hin, die eine Polarisierung der Gesellschaft auch für die junge Generation unter dem Aspekt der mentalen Gesundheit bedeutet.
Die Oberbürgermeisterin von Rostock, Frau Eva-Maria Kröger sprach mit sehr persönlichen Worten über die Belastungen, die gerade junge Familien erleben. Sie zeigte die Herausforderungen auf, denen Kommunen unter dem Aspekt der Segregation gegenüberstehen, und die Auswirkungen auf das gesunde Aufwachsen von Kindern haben.
Die Rektorin der Universität Rostock Elisabeth Prommer machte in ihrem Grußwort deutlich, dass psychische Gesundheit auch elementar im Bereich von Universitäten ist: Studierende zeigen nach der Pandemie gehäuft Belastungssymptome. Ein zweiter Fokus von ihr war, wie Wissenschaft zur Lösung der Krisen der Zeit beitragen kann, etwa durch Forschung zum Klimawandel oder in den Deutschen Zentren für Gesundheit.

Verleihung der Ehrenmedaille und des DGKJP Lehrpreises
Im Anschluss hielten der Kongresspräsident und der DGKJP-Präsident Prof. Dr. Marcel Romanos die Laudatio für die diesjährige Preisträgerin der DGKJP EhrenmedailleProf. Dr. Renate Schepker, die für Ihre Verdienste im Fach der Kinder- und Jugendpsychiatrie geehrt wurde. Das außergewöhnliche fachliche Engagement der Preisträgerin wurde gewürdigt, ihre Haltung, die Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie als ein Fach auszugestalten, das Zwang und Paternalismus hinter sich lässt, aber auch ihre Verlässlichkeit gegenüber Kooperationspartnern im fachlich-politischen Diskurs, die erst ermöglicht hat, dass die Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie heute einen solchen Stellenwert auch in gesellschaftlichen wie politischen Diskursen haben kann, waren Inhalt der Laudatio.
Der DGKJP Lehrpreis wurde zum zweiten Mal vergeben. Prominent wurde aufgrund der Bedeutung der Lehre für das Fach die Vergabe als Bestandteil der Eröffnungsveranstaltung geplant. Marc Ferger von der Nachwuchsorganisation YouCAP³ hielt die Laudatio und übergab den DGKJP Lehrpreis an die diesjährige Gewinnerin Gertraud Gradl-Dietsch von der Universität Duisburg-Essen für ihr innovatives Lehrprojekt "EVA – Emotionale virtuelle Agent:innen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie".
Der Abend schloss mit einem Get-Together, der von den Kongressteilnehmer:innen genutzt wurde, um sich auszutauschen und zu vernetzen.



Symposien der BMBF-Verbundforschungsprojekte
Das „Self-Injury: Treatment, Assessment, Recovery“ (STAR) – Konsortium wurde von 2018 bis 2023 vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) gefördert, um Mechanismen der Entstehung und Aufrechterhaltung versus Beendigung von NSSV zu untersuchen sowie mögliche Interventionen für NSSV zu entwickeln und Leitlinienwissen zu disseminieren. Das Symposium stellte erste Ergebnisse aus dem Konsortium vor. Im Symposium wurden sowohl die Methodik und die Studienpopulationen vorgestellt und Ergebnisse aus den Teilstudien wie STAR-Asess, zu individuellen Charakteristika von NSSV. Das Teilprojekt STAR-Neuro befasste sich mit der Emotionsregulation. In einem fMRT Paradigma wurden unangenehme bzw. neutral visuelle Stimuli mit per Thermode applizierten Hitzeschmerzreizen kombiniert. In einem weiteren fMRT-Projekt wurden die Effekte sozialen Ausschlusses und deren Korrelate mit individuellen Mobbingerfahrungen bei Adoleszenten mit NSSV und der gesunden Kontrollgruppe analysiert. Zuletzt wurden erste Analysen der Wirksamkeitsdaten aus dem Teilprojekt STAR-Online, einer randomisiert-kontrollierten Interventionsstudie zur Evaluation einer neu entwickelten Online-Intervention bei NSSV vorgestellt.
Res@t ist das Akronym für Ressourcenstärkendes Training für Adoleszente mit problematischem Medienkonsum und ihre Eltern. Im Rahmen des vom GA-Innovationsfond geförderte Projektes wurden die Gruppentherapieprogramme Res@t-A (für Adoleszente) und –P (für Eltern [Parents]) digital in eine App übersetzt. Derzeit erfolgt die Überprüfung der Wirksamkeit hinsichtlich der Reduktion von riskanten und pathologischen Nutzungsmustern von digitalen Spiele, sozialen Netzwerken und Online-Video-Plattformen in einer multizentrischen randomisiert-kontrollierten Studie. Faszilitatoren und Barrieren für eine erfolgreiche Implementation im Rahmen der geplanten Verstetigung werden geprüft, ebenso wie Besonderheiten in der Anwendung von Res@t bei Risikogruppen (Familien mit Unterstützung nach SGB 8). Des Weiteren werden in einer Substichprobe zirkadiane Aktivitätsmuster und neuropsychologische Parameter unter Förderung des häufig gestörten Schlafverhaltens untersucht. Die Ergebnisse werden Ende 2025 vorliegen.
Die BMBF-geförderte ADOPT-Verbundstudie hatte die bessere Diagnostik und Therapie des transdiagnostischen Phänomen affektive Dysregulation (AD) bei Kindern zum Ziel. Weitere Inhalte waren die Epidemiologie von AD und neurobiologische Aspekte von AD.
Im Symposium wurden nach Beendigung der multizentrischen Studie die Ergebnisse der Teilprojekte präsentiert. Hinsichtlich der Belohnungserwartung zeigten sich neurobiologisch Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne AD. Eine online-Intervention konnte die Symptomatik deutlich reduzieren. Bei schwer Betroffenen zeigte sich sowohl in einer Gemeindestichprobe, wie einer Stichprobe von Heim- und Pflegekindern Effekte, jedoch waren diese aufgrund der umfassenden TAU-Bedingungen oftmals TAU nicht überlegen.
Im Rahmen des DGKJP Kongresses, der kürzlich in Rostock stattfand, wurde eine spannende Session zum Thema „Die zwei neuen Deutschen Gesundheitsforschungszentren: DZPG und DZKJ“ abgehalten. Unter dem Vorsitz von Prof. Silvia Schneider aus Bochum und Prof. Michael Kölch aus Rostock (Sprecher des DZKJ-DZPG-Brücke) diskutierten die Referent:innen Prof. Tobias Renner aus Tübingen und Prof. Silke Schmidt aus Greifswald die Chancen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den beiden Zentren.
Im Symposium wurden verschiedene Beispielprojekte vorgestellt, die eine enge Kooperation auf der DZKJ-DZPG-Brücke in Aussicht stellen. Diese Projekte verdeutlichen, wie beide Zentren voneinander profitieren können und welche Synergien sich durch eine gemeinsame Ausrichtung ergeben.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Diskussion war die gemeinsame Nachwuchsförderung, die als bedeutender Mehrwert für beide Zentren hervorgehoben wurde. Durch die Förderung junger Talente wird nicht nur die Forschung gestärkt, sondern auch die Zukunft der Gesundheitsforschung in Deutschland gesichert.
Wir freuen uns auf die kommenden Entwicklungen und die enge Zusammenarbeit zwischen dem DZPG und dem DZKJ.
Ziel des multizentrischen Forschungsprojekts ESCAlife (Evidence-based, Stepped Care of ADHD along the life-span) ist die Untersuchung einer individualisierten, gestuften Behandlungsstrategie für Patient:innen mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) über die Lebensspanne. ESCAlife umfasst vier klinische Behandlungsstudien für verschiedene Altersbereiche: ESCApreschool (3-6 Jahre), ESCAschool (6-11 Jahre), ESCAadol (12-17 Jahre) und ESCAlate (16-45 Jahre). Insgesamt wurden 1144 Patient:innen eingeschlossen. Über alle Altersgruppen zeigen sich signifikante Veränderungen über die Zeit in den Outcomevariablen für verschiedene Bedingungen, jedoch keine signifikanten Unterscheide zwischen den randomisiert zugeteilten Behandlungsoptionen bezüglich des primären Endpunktes – dem verblindeten Kliniker-Urteil zur ADHS-Kernsymptomatik. Vereinzelt zeigen sich signifikante Zwischengruppeneffekte für sekundäre klinische Endpunkte. Für eine zuverlässige Interpretation der Effekte werden im nächsten Schritt Moderatoren des Therapieerfolges analysiert. Die Studien wurden finanziert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Unter diesem Titel wurde eine Zusammenschau des vom BMBF finanzierten IMAC-Projektes vorgestellt, in dem in sehr unterschiedlichen Settings erforscht wurde, ob achtsamkeitsbasierte Verfahren eine gute Chance in der Therapie und Prävention von Suchtproblemen im Kindes – und Jugendalter bieten. Alle Einzelprojekte berichteten eher geringe bis keine Effekte, wobei die Gültigkeit der Ergebnisse erheblich unter den Pandemie-bedingten Einschränkungen zu leiden hatte. Nur wenige Studien erreichten die angestrebte Stichprobengröße, einige mussten auf Tele-Health-Formate umstellen, andere beschränkten sich notgedrungen auf Machbarkeit. Optimistisch stimmte, dass Achtsamkeitskonzepte insgesamt anwendbar sind und gut angenommen wurden, auch in Risikogruppen, wie Jugendlichen mit Lernbehinderungen.

Fachliche Debatten
In dieser trotz Mittagszeit gut besuchten Veranstaltung gelang es den beiden Diskutanten, Prof. Dr. Tobias Renner aus Tübingen und Prof. Dr. Henning Flechtner aus Magdeburg, in einen regen Austausch darüber zu gehen, was E-Health-Anwendungen, Apps und digitale Kommunikationsstrukturen für Vorteile, aber auch Ergänzungsmöglichkeiten gegenüber der klassischen Face2Face Psychotherapie bzw. einer Interaktion im analogen Alltag bieten können, wo aber auch die Grenzen des Digitalen liegen.
Begonnen wurde zunächst mit jeweils einem kurzen Impulsvortrag, wobei Prof. Renner eher als Vertreter der Befürworter der digitalen Therapiemöglichkeiten argumentierte, Prof. Flechtner argumentativ zunächst eher die Sichtweise der Skeptiker einnahm.
Im Anschluss wurde gemeinsam, auch unter Einbezug von Fragen aus dem Auditorium, offen diskutiert. Thematisiert wurden unter anderem Notwendigkeiten für Schulungen von Therapeut:innen und Ärzt:innen im Umgang mit digitalen therapeutischen Unterstützungstools, der Wunsch nach Orientierungshilfen für die Praxis, um einen Überblick über verfügbare Tools und Angebote zu erhalten sowie datenschutzrelevante Aspekte. Übereinstimmung konnte darüber erzielt werden, dass qualitativ hochwertige und wissenschaftlich evaluierte E-health Interventionen klassische therapeutische Begegnungen im analogen Kontext nicht ersetzen, aber eine wichtige Ergänzung hierzu darstellen können, wenn die Anwender:innen (Psychiater:innen und Psychotherapeut:innen) sich hiermit wohlfühlen und im Umgang/der Verschränkung beider Modalitäten sicher sind.
Steigende Fallzahlen angesichts aktueller Krisen bedeuten eine zunehmende Herausforderung für die Kinder- und Jugendpsychiatrie. In dieser fachlichen Debatte wurde die aktuelle Evidenz zu den Auswirkungen aktueller Krisen auf die psychische Gesundheit zusammengefasst und klare politische Forderungen von den Referenten Prof. Jörg Fegert und Dr. Lasse Brandt artikuliert.
Aus dem Abstract von Prof. Fegert, Präsident der European Society of Child and Adolescent Psychiatry sind zentrale Forderungen klar formuliert:
Während der Pandemie wurden die Interessen von Kindern und Jugendlichen in Krisenstäben und anderen Runden auf politischer Ebene kaum berücksichtigt. Die Frage der Debatte war also nicht: Sind Krisen ein wirkliches Thema für die KJPP? Sie sind es, vor allem, weil die Betroffenen hier Hilfe suchen und sich mit Zuschreibungen wie „Lost Generation“ oder „Generation Corona“ auseinandersetzen müssen. Die Frage ist eher: Wer kommt gut klar in der von Krisen geprägten Generation? Wo versagen Institutionen zum Schutz von Kindern gegenwärtig? Und wie können wir es besser machen?
Sowohl in der KJPP als auch auf politischer und gesamtgesellschaftlicher Ebene ist es eine Frage der Generationengerechtigkeit, Kinder, Jugendliche und ihre Familien jetzt mit den richtigen Hilfen zu unterstützen. Vorbereitete Infrastrukturen, die schnell auf Krisen reagieren können, Stepped Care- und moderne Online-Beratungsansätze sind nur ein Teil der notwendigen Unterstützungsangebote. Nach den Erfahrungen der immer noch nicht bewältigten sukzessiven Krisen geht es letztlich darum, die Interessen und elementaren Rechte von Kindern und Jugendlichen langfristig über die Zeitenwende hinaus zu stärken und vor Krisen zu schützen durch die Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung.
Die Podiumsdiskussion zur kurz vor der Publikation stehenden AWMF S2k-Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie sollte einen offenen Austausch zu der im Internet und über die Presse seit mehreren Jahren stattfindende kontroversen Diskussion ermöglichen. Deswegen waren Personen eingeladen, die an der Erstellung der Leitlinie beteiligt waren, ebenso wie Kritiker der Leitlinie. Leider sagten zwei Vertreter, die die Leitlinie kritisieren ab, da sie empfanden, nicht ausreichend zeitlich berücksichtigt zu sein. Deswegen konnten nur Sabine Maur, Vizepräsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer und Prof. Dr. Romer, Münster auf dem Podium mit der Moderatorin Prof. Freitag, Frankfurt/Main diskutieren, jedoch war das Publikum eingeladen mitzudiskutieren. Das zentrale Anliegen der Podiumsdiskussion war es, die wesentlichen Inhalte der bisher nicht veröffentlichten Leitlinie dem Publikum vorzustellen.
Die Darstellung der Leitlinie und die Podiumsdiskussion fokussierte sich inhaltlich auf die folgenden drei wesentlichen Fragen, die für alle praktisch Tätigen relevant erscheinen:
- Welche diagnostischen Kriterien für Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter verwendet die AWMF-S2k-Leitlinie?
- Auf welche somatischen und psychiatrischen differentialdiagnostischen oder koinzidenten Erkrankungen sollte besonders beachtet werden?
- Falls die Diagnose einer Geschlechtsinkongruenz oder Geschlechtsdysphorie gestellt wurde: Ist eine Intervention überhaupt notwendig und sinnvoll? Ab welchem Alter?
Zu den Themen erfolgte einerseits die Darstellung der Leitlinieninhalte, andererseits eine kritische Diskussion sowohl zur Diagnostik als auch zur Intervention. Hinsichtlich der Diagnostik wurde deutlich, dass es keine standardisierten Interviews oder Fragebögen gibt, die hinsichtlich der Diagnostik über ICD-11 oder DSM-5 hinaus eingesetzt werden können. Vor allem die psychiatrischen, aber auch die somatischen Differentialdiagnosen wurden beleuchtet, und es wurden wesentliche Hinweis aus dem Publikum auch zu wichtigen somatischen Aspekten gegeben.
Die AWMF S2k-Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie, die in einem strukturierten, moderierten, transparenten Prozess mit 26 beteiligten Fachgesellschaften über sieben Jahre entstanden ist, wird nach Zustimmung durch alle bis auf eine der beteiligten Fachgesellschaften im Laufe des Oktober 2024 auf der Homepage der AWMF veröffentlicht werden.
Die „Drei Verbände Veranstaltung DGKJP, BAG KJP, BKJPP“ mit dem etwas provokanten Titel: Welche stationären Versorgungskapazitäten sind wirklich nötig? zeigte interessanterweise wenig Widersprüchlichkeiten in der fachlichen Debatte des Podiums: eine Erweiterung der Betten-Kapazitäten im Fach ist weder von den Fachkräften her darstellbar noch in der Mehrzahl der Regionen inhaltlich sinnvoll; die Finanzierung (z.B. von Investitionen) aber noch ans Bett gebunden. Neue Finanzierungsmodelle wie Global- und Regionalbudgets würden vermutlich schnell zu sinkenden Bettenzahlen führen vor allem in sehr gut versorgten Regionen. Alle Verbändevertreter:innen waren sich einig, dass mit engerer und verlässlicherer Kooperation innerhalb des versäulten Versorgungssystems Betten „gespart“ werden können ohne Nachteile für Patient:innen.
Leider, wurde aus dem Publikum vermerkt, ist das seit Jahrzehnten bestehende Ringen um eine „Kooperationsziffer“ bisher nicht erfolgreich gewesen, und die neue KSV-Psych-Richtlinie soll zunächst ohne Einbezug der Krankenhäuser und Institutsambulanzen auskommen. Für die kommenden Diskussionen um die Krankenhausreform präsentierten sich die drei Verbände gut gerüstet.

Mit dem Thema Selbsthilfe und Partizipation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist es gelungen verschiedene relevante Aspekte der Patientenversorgung und -beteiligung fachlich zu debattieren. Hierzu zählen qualitative Veränderungen in der Behandlung und Forschung, die zunehmende Anerkennung der Bedeutung von Patientenautonomie sowie die Selbstbestimmung und die Förderung der aktiven Beteiligung junger Patient:innen an ihrem eigenen Behandlungsprozess. Die Stärkung der Selbsthilfe und Partizipation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie stand im Mittelpunkt eines Austausches zu innovativen Ansätzen in diesem Feld.
In der Fachlichen Debatte „Blick der Patient:innen“zeichneten ein ehemaliger Betroffener und ein Sozialpädagoge aus dem Kinder- und Jugendrechtsverein Dresden den Weg zum Empowerment auf - über den Offenen Brief an Mitarbeitende in Jugendhilfe und Jugendpsychiatrie, eine Broschüre zu Erfahrungen mit Geschlossener Unterbringung in Jugendhilfe und Psychiatrie bis hin zur intensiven Beteiligung am aktuellen Leitlinienprozess „Autonomie und Zwangsvermeidung“ unter dem Motto: „Wir müssen reden!“. Herausgehoben wurde aus dem Publikum auch die Bedeutung der 1:1-Betreuung, die Ermöglichung der erforderlichen Ressourcen durch Krankenhausträger und die hohe Bedeutung einer patientenorientierten Grundhaltung der Leitung. Ein eindrucksvoller Bericht aus einer „Institution im Wandel“ – von einer quasi „Totalen Institution“ zur Patientenorientierung – wurde durch den Brief einer Patientin verdeutlicht, die beide Phasen in der betreffenden Klinik miterlebt hat.
In der Fachlichen Debatte „Ist Time out, out of time?” der BAG Leitender Mitarbeiter:innen des Pflege- und Erziehungsdienstes kinder- und jugendpsychiatrischer Kliniken und Abteilungen e.V. wurde sehr klar, dass begriffliche Verwirrungen („Kriseninterventionsraum = Time Out Raum“) auch zu Unklarheiten auf der Handlungsebene beitragen, dass die Abgrenzung zu freiheitsentziehenden Maßnahmen sehr genau zu treffen ist und dass Alternativen zur Freiheitsentziehung und zu bestrafenden Interventionen bei Patient:innen mit herausforderndem Verhalten noch verbreiteter gepflegt werden müssen. Verhaltenstherapeutische Interventionen könnten nicht aufoktroyiert werden, sondern sollten mit Patient:innen und Sorgeberechtigten abgesprochen sein, Beziehungsangebote sollten stets Vorrang haben. Zu Unrecht werde oft noch mit der Sicherheit des Personals argumentiert. Es zeigte sich im lebhaften Austausch deutlich, dass diese Fachliche Debatte in jeder stationären Einrichtung fortgeführt werden muss.
Im Symposium zur Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie berichtete Günter Wulf zu seinem in den 60er Jahren erlebten sexuellen Übergriffen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Hesterberg und plädierte für klare Haltungen im Fachgebiet gegen Pädophilie. Zuvor hatte Ekkehart Kumbier zur Ausgrenzungsfunktion der Psychiatrie in der damaligen DDR an hohen Feiertagen und anlässlich von hohen Staatsgästen referiert – was von Wulf auch für den Westen bestätigt wurde. Klaus Schepker, wies nach, dass Hans Asperger entgegen bisherigen Pressemitteilungen keine Kinder an die Tötungsabteilung der Anstalt „Spiegelgrund“ in Wien „überwiesen“ hat, und Luis Goncalves-Brodte trug zu den Werbestrategien zum Neuroleptikum Aolept vor, die auch in ein damaliges Lehrbuch des Faches Eingang fanden.

Die DGKJP erstellt federführend aktuelle AWMF-Leitlinien, von denen einige, die im Veröffentlichungsprozess weit fortgeschritten sind, in diesem Symposium vorgestellt wurden.
Die Leitlinie für psychische Störungen im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter legt den Fokus auf Beziehungsstörungen und Eltern-Kind-Interaktion. Aufbau, Entstehungsprozess und beispielhafte Schlüsselempfehlungen wurden hervorgehoben. Ähnlich aufgebaut war die Vorstellung der neuen Leitlinie zu depressiven Störungen, die insbesondere im Bereich von Psychotherapie und Medikation auch wegweisende neue Empfehlungen enthält. Ebenso wie die Leitlinie zu depressiven Störungen ist die neue Leitlinie zu Zwangsstörungen eine S3-Leitlinie, weil hier hinreichend Evidenz vorhanden ist, auf die im dritten Beitrag eingegangen wurde. Den Abschluss bildete die Vorstellung der Leitlinie zu Geschlechtsdysphorie, die bereits im Vorfeld öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hatte. Die Vorstellung von Hintergrund und Intention dieser ganz offensichtlich auch politisch relevanten Leitlinie konnte erheblich zur Klärung bestehender Verunsicherungen beitragen und eine fachlich fundierte Debatte ermöglichen.
Research Perspectives
Im Rahmen des Vortragstracks Research Perspectives konnte der international renommierte Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Benedetto Vitiello gewonnen werden, in dem er zu den aktuellen psychopharmakologischen Entwicklungen im Fach berichtete. Professor Vitiello ist der Leiter der neuropsychiatrischen Universitätsklinik in Turin, Italien, und war zuvor unter anderem am National Institut of Health leitend tätig im Bereich der Forschung zur Therapie und Prävention von psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter.
In seinem Vortrag fokussierte er auf die wissenschaftlichen Neuerungen und klinisch relevanten Entwicklungen der letzten Jahre. Nach wie vor hinkt die Evidenzbasierung der psychopharmakologischen Therapie bei Kindern und Jugendlichen der im Erwachsenenalter deutlich hinterher. Dennoch konnten wichtige Fortschritte erzielt werden. Er legte einen Fokus seines Vortrags auf den Einsatz von Ketamin als innovative Behandlungsoption bei therapierefrakärer Depression und stellte die noch überschaubare Studienlage und Evidenz im Kindes- und Jugendalter dar. Auch auf neuere Entwicklungen in der Behandlung depressive Erkrankungen mit dem Wirkstoffen Vortioxetin und Agomelatonin ging er ein und skizzierte relevante Forschungsdesiderata für die Zukunft.
Sehr passend zum Motto des Kongresses berichtete Prof. Sabine Walper zum Wandel von Familienformen und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit und Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen. Sie verfolgt dieses Thema seit über 30 Jahren und ist ihm bis zu ihrem gegenwärtigen Direktorat des Deutschen Jugendinstitutes treu geblieben. Sie fokussierte ihren spannenden Vortrag auf die Frage, ob die Scheidung der Eltern noch ein Entwicklungsrisiko darstellt. Eine Reihe von Moderatoren und Faktoren wurde diskutiert, die von Nachscheidungs-Modellen der Elternschaft über sozioökonomische und Bildungsfaktoren bis hin zu Fragen des Zeitmanagements und der elterlichen Gesundheit und Konfliktbewältigung reichten.
Auch hier war die Antwort klar: Trotz ihrer weiten Verbreitung und Normalisierung bleibt die Scheidung der Eltern ein Risiko, welches sich auch auf die psychische Gesundheit der Kinder auswirken kann.
Prof. Dieter Wolke von der University of Warwick gehört zu dem meistzitierten internationalen Forscher:innen, die lebenslange Folgen von Frühgeburtlichkeit erforschen. Als Principal Investigator der Bayerischen Längsschnittstudie untersucht er frühgeborene Kinder seit über 30 Jahren. In seinem mitreißenden Vortrag summierte Prof. Wolke Ergebnisse aus seiner gesamten wissenschaftlichen Laufbahn, aus verschiedenen Studien und Kohorten, in diversen bio-psycho-sozialen Modellen.
Die Ergebnisse waren klar: Frühgeburtlichkeit bleibt auch unter den Bedingungen moderner Medizin, unter Berücksichtigung diverser kompensatorischer Einflüsse ein Risiko für die lebenslange Entwicklung von psychischer Gesundheit. Für die Entwicklung von Resilienz gibt es Zeitfenster, nach deren Schließung die Chancen sinken. Eindrücklich bewies Prof. Wolke, dass die breit angelegte, hoch finanzierte Längsschnittstudie der Königsweg der Entwicklungspsychopathologie ist.
Mit Prof. Henning Tiemeier hielt einer der am weitesten angereisten Gäste (Boston, Harvard University) einen der komplexesten und gleichzeitig spannendsten Vorträge des Kongresses. Prof. Tiemeier, der sowohl Soziologe als auch Mediziner ist, widmete sich dem Zusammenspiel von biologischen und sozialen Einflussfaktoren auf die Hirnentwicklung – und das auf populationsgenetischer Ebene. Mit Daten der Rotterdamer Generation R Studie und aus anderen Längsschnittprojekten beschrieb er komplexe Modelle, die die Wirkung von Armut, Schilddrüsen-Hormonen und vielen anderen Faktoren auf Autismus und Hirnentwicklung im Allgemeinen unter einer evlutionsmedizinischen Perspektive beschreiben. Insbesondere ging es ihm um die Verschränkungen unterschiedlicher Zeitperspektiven – der ontogenetischen, phylogenetischen und historischen - in der Konzeptualisierung von Entwicklungspsychopathologie.
Der Vortrag der Rostockers Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität Berlin, war trotz des Samstagmittag Termins bestens besucht. Prof. Mau stellte sein Buch „Triggerpunkte“ vor, in dem er Polarisierungsprozesse der gegenwärtigen Gesellschaft untersucht. Passend zu den Debatten in der Kongresshalle und davor beschrieb er wesentliche Dimensionen der Polarisierung, die sich in einigen basalen sozioökonomischen Parametern nicht finden lässt. In seinem Vortrag spannte er einen makrosozialen Rahmen auf, der auch die Themen des Kongresses, wie Klimakrise, Kriegsangst und Mediengebrauch umfasste und stellte insbesondere auf das Wirken von „Polarisierungsagenten“ ab, die einer Aufmerksamkeitsökonomie folgen und weniger inhaltlichen Gegebenheiten.
In diesem Symposium wurden wissenschaftliche Daten und Erkenntnisse zu Schlaf, Schlafstörungen und zur zirkadianen Rhythmik, die eine wichtige Rollen in Pathophysiologie der meisten kinder- und jugendpsychiatrischer Störungsbilder spielen dargestellt und daraus Implikationen für den klinischen Alltag abgeleitet.
Prof. C. Schroder stellte die Rolle von Schlaf und Schlafstörungen in psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen dar und Dr. Dück nahm die zirkadiane Rhythmik in den Fokus. Prof. Spruyt hat in ihrem Vortrag die Wichtigkeit von Schlaf für die Entwicklung erläutert. Prof. Schlarb hat die Rolle von Schlaf und Träumen bei posttraumatischen Belastungsstörungen beleuchtet.


Besondere Veranstaltungen
Die Sitzung des Bundesjugendkuratoriums wurde vom Kongresspräsidenten Prof. Dr. Michael Kölch und dem Vorsitzenden des BJK, Prof. Dr. Wolfgang Schröer von der Universität Hildesheim gestaltet.
Zentrale Themen waren
- die Sicherung von Rechten von Kindern unter dem Aspekt des demografischen Wandels,
- von Standards in Anbetracht des Fachkräftemangels und
- die Weiterentwicklung der Kooperation zwischen den Systemen auch unter dem Aspekt verknappter Ressourcen.
Als ein zentraler Punkt für die Kooperation kristallisierte sich die kommunale (und überregionale) Kinder- und Jugendhilfeplanung heraus, die als essentiell für eine funktionale Gestaltung der Angebote entsprechend den regionalen Bedürfnissen gesehen wird.
Weitere zentrale Themen waren, wie ganzheitlich psychische Gesundheit in den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen präventiv adressiert werden kann, um den erschreckenden Zahlen gestiegener Prävalenzen für psychische Störungen bei der jungen Generation zu begegnen.
Einigkeit bestand darin, dass ein unbegrenztes Mehr an Angeboten im Bereich der Therapie nicht das zentrale Problem, der gestiegenen und zum Teil von eindeutig identifizierten Risikofaktoren abhängigen der hohen Prävalenz für psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen lösen kann.
Erstmalig wurde der Preis der Steinhausen-Stiftung, der mit 10.000 € dotiert ist, auf dem XXXVIII DGKJP Kongresses 2024 vergeben. Der Preis wurde gestiftet durch Helene und Prof. Hans-Christoph Steinhausen im Jahre 2023. Er ehrt Forschende, Einrichtungen und Projektgruppen, die im Bereich der Entwicklungsstörung der Intelligenz gestaltend tätig sind, um die Lebensqualität und Teilhabe von Menschen mit einer Entwicklungsstörung der Intelligenz an der Gesellschaft zu verbessern.“
Unter mehreren exzellenten Bewerbungen wählte das Kuratorium als erste Preisträgerin Frau Dr. Julia Geissler, die sich mit ihren Arbeiten zum Thema Entwicklungsstörung der Intelligenz beworben hatte. Ihre vorgelegten Arbeiten umfassen sowohl Erhebungen zur Häufigkeit freiheitsentziehender Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen mit Entwicklungsstörung der Intelligenz, die in Heimeinrichtungen leben, als auch digitale Interventionen zur Reduzierung von Freiheitsentzug. Die Arbeit von Frau Dr. Geissler verbindet eine hohe wissenschaftliche Qualität mit einer hohen Versorgungsrelevanz und Praxisbezug, die direkt auf eine Optimierung der Lebensqualität und Versorgung der betroffenen Kinder und Jugendlichen abzielt. Weiterhin ist der interdisziplinäre Ansatz und die Kooperation mit der Sonderpädagogik und der Epidemiologie hervorzuheben.
Neu war das Konzept, die Poster über den ganzen Kongress hinweg für Besucher:innen zugänglich zu machen im Sinne einer wissenschaftlichen Piazza. Es gab auch dieses Mal Posterpreise. Das Konzept war aber neu: zwei Tage wurden jeweils zusammengefasst und die Poster prämiert.
Folgende Personen haben den mit 250 Euro dotierten Preis erhalten:
- Dr. Johanna Pia Heger mit „SMILE - Unterstützung der psychischen Gesundheit junger Menschen - Integrierte Methodik für klinische Entscheidungen und evidenzbasierte Interventionen: Ergebnisse der Fokusgruppen;
- Dr. Julia Hertel mit „Effekte von Sport auf die neurokognitiven Funktionen von Jugendlichen mit Depressionen: eine Analyse mittels CANTAB-Testbatterie“;
- Karin Prillinger mit „tDCS mit sozialkognitivem Training verbessert die Emotionserkennung bei ASS“ und
- Stefanie Unger mit „Untersuchung von Theta-Netzwerk-veränderungen bei ADHS im Kindes- und Jugendalter: Erkenntnisse aus EEG-Neurofeedback-Interventionen“.
Die DGKJP bedankt sich für das Engagement und wünscht den Preisträgerinnen für ihre berufliche und persönliche Zukunft alles Gute.
Entsprechend dem Kongressmotto, sollte auch der ehemalige „Gesellschaftsabend“ einem Wandel unterzogen werden und so entstand die Idee zur Kongressparty: es sollte keine Trennung mehr geben zwischen „arrivierten“ Teilnehmer:innen mit Abendessen und „Flanierkarten“, sondern die Kongressteilnehmer:innen, insbesondere die jungen Teilnehmer:innen sollten die Möglichkeit haben zu feiern, zu tanzen und sich auszutauschen.
Das Konzept ging auf: 300 Karten waren vorgesehen, am Ende waren es über 450 Gäste bei der Kongressparty. Neben finger-food und Freigetränken unterhielt zu Beginn die „Kongress-Band“ besetzt mit Enrique Marcano-Gonzales (Bass), Oliver Herlitzka (Gitarre) und Konstantinos Efraimidis (Klarinette) den Abend mit lockerem Jazz. Dann startete der „Club“ in der Stadthalle hinter Saal 1: DJs legten auf, die Bar war geöffnet, die Lightshow faszinierte und die Luftballons der Stiftung Achtung!Kinderseele hatten in Anbetracht der tanzenden Menge keine Chance auf dem Boden zu landen.
Die Kongresspartygäste konnten sich mit Freund:innen und Kolleg:innen in einer Fotobox ablichten und so hoffentlich gute Erinnerungen an den DGKJP Kongress 2024 verewigen!
Die Vergabe des Hermann-Emminghaus-Preises ist fester Bestandteil der DGKJP Kongresse. Der mit 10.000 € dotierte Preis wird an exzellente Nachwuchswissenschaftler:innen überreicht, die grundlegende wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Diagnostik, der Prognose oder der Therapie psychischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter geleistet haben. Diesjährige Preisträger:innen sind
- PD Dr. med Dipl.-Psych Kerstin Paschke für ihre Arbeit zum Thema „Von der standartisierten Diagnostik zur ätiologie- und partizipationsbasierten Therapie der Gaming Disorder im Kindes- und Jugendalter“ und
- Dr. Nico Bast fürseine Arbeiten zum Thema „Quantifizierung von Pathomechanismen mittels unauffälliger Sensorik“.

Kooperationssymposien
Gemeinsames Symposium von DGPPN-DGKJP-DGPM, 18.09.24
Mit der EPPIK Studie, in der die Daten von fast 11.000 Patient:innen aus insgesamt 54 Kliniken der Erwachsenen- bzw. Kinder- und Jugendpsychiatrie analysiert wurden, liegt erstmals eine geprüfte Methode vor, den Personalbedarf in der stationären psychiatrischen Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu ermitteln.
Das sogenannte „Plattformmodell“ bietet die Möglichkeit, notwendige Behandlungsprozesse und damit verbundene Personalbedarfe in der stationären Behandlung zu definieren. Es orientiert sich am Behandlungsbedarf psychisch erkrankter Menschen und betrachtet diesen auf verschiedenen, jeweils multidisziplinär besetzten Dimensionen: psychiatrisch-psychotherapeutisch, somatisch und psychosozial. Für jede dieser drei Dimensionen wird zwischen regulärem und erhöhtem Versorgungsbedarf unterschieden. So entstehen insgesamt acht Bedarfscluster. Der durch EPPIK ermittelte Personalbedarf liegt dabei deutlich höher als die Mindestvorgaben der Personalrichtlinie PPP-RL. Die psychiatrischen Fachgesellschaften DGPPN und DGKJP engagieren sich seit vielen Jahren für eine evidenzbasierte Personalbemessung in der Psychiatrie und Psychotherapie und stellten das Modell zusammen mit der DGPM zur Diskussion vor. Deutlich wurde, dass das EPPIK Modell den Personalbedarf für eine ideale Behandlung benennen kann; der Weiterentwicklungsbedarf wurde von allen Beteiligten darin gesehen, wie ein angemessener Bedarf definiert wird und wie wirklich den Patient:innen gefährdende Unterschreitungen von Personalbesetzungen definiert werden können. Einigkeit bestand darin, dass die PPR-L Definition z.B. für die Gefährdung von Patient:innen ungeeignet ist.
Seit dem Magdeburger Kongress finden Kooperationssymposien zwischen ESCAP und DGKJP auf den jeweiligen Kongressen statt. Die DGKJP ist die größte Partnerorganisation von ESCAP und die Zusammenarbeit mit der europäischen Organisation ist ein zentrales Anliegen des Vorstands der DGKJP. Nach Maastricht und Kopenhagen konnte auf dem DGKJP Kongress in Rostock nun ein Kooperationssymposium veranstaltet werden, dass das Kongressthema von ESCAP in Straßburg 2025 aufnahm: „Beyond categories of nature and nurture“.
Zusammen mit ESCAP war das Symposien mit den Speakern Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski vom ZI für Seelische Gesundheit, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie durch Prof. Manon Hillegers, MD PhD, vom Erasmus Medical Center-Sophia aus den Niederlanden besetzt.
Zentrale Fragen waren einerseits die Überwindung von kategorialen Forschungsansätzen hin zu dimensionalen und transdiagnostischen Ansätzen insbesondere im Bereich der Kohorten Forschung, wie auch die Neukonzeptionalisierung von psychischen Störungen jenseits einfach erscheinender distinkter Kategorien wie genetischer Einflüsse oder Umwelteinflüssen, oder einer einfachen Matrix, die die Interaktion zwischen beidem erklären möchte.
Die Kooperationssymposien zwischen der AGJ und der DGKJP sind inzwischen Tradition und Zeichen für die Bedeutung zwischen dem Kinder- und Jugendhilfesystem und der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. So wie die DGKJP auf dem DJHT vertreten ist, so ist die AGJ auf dem DGKJP Kongress vertreten. Das Symposium hatte zum Inhalt, einmal Kooperationsempfehlungen zwischen AGJ und den Verbänden der KJPP in Anbetracht von Entwicklungen im Raum Bonn aufgrund von problematischen Kooperationsstrukturen darzustellen und die Kooperation unter den krisenhaften Entwicklungen von Fachkräftemangel, Anforderungen an ein inklusives Kinder- und Jugendhilfegesetz, sowie neueren Entwicklungen im Bereich des SGB V zu besseren Kooperation niedergelassener Kolleg:innen zu diskutieren.
In dem gemeinsamen Symposium der DGKJP, SGKJPP und ÖGKJP diskutierten die Vorstände übergreifende aktuelle Themen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Vorstandsmitglieder aller drei Fachgesellschaften beschrieben die je landesspezifische Situation eines zunehmenden interdisziplinären Nachwuchsmangels, der die Sicherung und Weiterentwicklung klinischer Versorgungsstrukturen und gleichermaßen die akademische Verankerung des Faches bedroht. Dabei lernten die Teilnehmenden auch mögliche Strategien zur Verbesserung der Nachwuchssituation kennen.
Nachwuchsveranstaltungen

Der „Karrieretalk -Beruf & Berufung“ eröffnete die Nachwuchsveranstaltungen mit einem spannenden Impulsvortrag zu Möglichkeiten Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Im Podium diskutierten drei Fachärztinnen für Kinder- und Jugendpsychiatrie- und Psychotherapie mit unterschiedlichen Karrierewegen. Das Publikum konnte Einblicke in den Werdegang einer jungen Universitätsprofessorin (Prof. Vera Clemens) als ärztlich tätige Wissenschaftlerin, einer Oberärztin einer Versorgungsklinik (Susanne Schubert) und einer Praxisinhaberin (Dr. Annegret Brauer) bekommen. Es gab großes Interesse an Tipps zur Facharztausbildung, aber auch zu Wegen in die Forschung. Der Karrieretalk ist mittlerweile fester Bestandteil des Nachwuchsprogramms und erfreute sich auch durch sein interaktives Format großer Beliebtheit.
Gemeinsam haben YouCAP³ und die Stiftung „Achtung!Kinderseele“ in dieser Veranstaltung beleuchtet, wie Aufklärungsarbeit rund um KJPP-Themen im digitalen Raum stattfindet. Julia Husemann referierte zur Online-Selbsthilfe und jungen Selbsthilfe (18 bis 35 Jahre) bei Nakos, der Nationalen Kontaktstelle zur Unterstützung von Selbsthilfe-Gruppen. Sarah Kaiser, Ko-Stiftungsleiterin der Stiftung "Achtung!Kinderseele", stellte die digitale Präventionsarbeit der Stiftung vor. Dazu gehören ein E-Learning-Programm für Auszubildende sowie animierte Erklärfilme in mehreren Sprachen für Eltern mit Flucht- und Migrationshintergrund. Sehr bereichert wurde die Veranstaltung durch eine Präsentation der Influencerin „Maria macht Mut“, die auf Instagram Aufklärungsarbeit für Angehörige von Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störung und ADHS macht.
„KJP im Kino“ realisiert den Schulterschluss von Film und Wissensvermittlung. Als stark nachgefragte Nachwuchs-veranstaltung konnte dieses Mal Ausschnitte aus dem 2016 erschienen Kinofilm „Feuer im Kopf“ gezeigt werden, in dem es um eine junge Frau mit Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis, eine seltene, aber wichtige Differentialdiagnose in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, geht. Als ausgewiesene Expertin erklärte die Neuropädiaterin Dr. Anniki Bertolini im Anschluss an den Film die gezeigten Symptomen, sprach über die Diagnostik und die Therapie für betroffenen Patient:innen. Außerdem stellte sie als Vertreterin von GENERATE Junior ein deutschlandweites Expert:innen-Netzwerk für Kinder- und Jugendliche mit Autoimmunenzephalitis vor und zeigte die wichtige Bedeutung der KJP in der Zusammenarbeit auf. In einem sehr lebendigen Austausch, der durch wachsames Interesse und zahlreiche Fragen der Teilnehmer:innen gekennzeichnet war, zeigte sich das KJP im Kino wiederholt sehr gut angenommen wurde.
70 der 124 Kongressstipendiat:innen sind zum DGKJP Lunch Talk „Rückenwind für kluge Köpfe“ gekommen. Für alle DGKJP-Stipendiat:innen stellte die DGKJP ein Lunch zur Verfügung mit dem sich die Stipendiat:innen in einen großen Stuhlkreis setzen konnten. Zu Beginn haben Prof. Dr. Christine Freitag und Prof. Dr. Sarah Hohmann einen kurzen Input zur DGKJP und zum Fach selbst gegeben. Im Anschluss beantworteten die Fachvertreterinnen einige der vorher zahlreich eingereichten Fragen der Stipendiat:innen zur Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Hierzu zählten Fragen wie „Welche Empfehlungen haben Sie, wenn man als Assistenzarzt eine wissenschaftliche Laufbahn beginnen möchte?“ oder „Wie lernt man ein gutes Maß zwischen Empathie und Abgrenzung zu finden?“. Das Format fand großen Zuspruch, da es den Austausch in lockerer Runde ermöglichte.
In der kostenlosen Fortbildung kamen von PJ-Studierenden und Famulanten, die nach Abschluss ihres Studiums in der KJP starten möchten, über Ärzt:innen in Weiterbildung aus dem ganzen deutschsprachigen Raum bis hin zu jungen Oberärzt:innen ein großes interessiertes Publikum zusammen. Das Interesse an einer Wissensauffrischung zu den wichtigsten Themen für eine erfolgreiche Tätigkeit als Dienstarzt -ärztin war enorm.
Die sehr interaktiv gestaltete Fortbildung mit den drei erfahrenen Expert:innen Prof. Holtmann (Recht und Deeskalation), Dr. Tini (Pharmakologie) und Prof. Plener (Suizidalität und Selbstverletzung) war durch die Impulsvorträgen der Referent:innen und einen intensiven Austausch zwischen den Teilnehmenden geprägt. Alle konnten durch die Erfahrungen der Kolleg:innen aus anderen Kliniken sehr profitieren.
„Gemeinsam mit dem FiSH-Filmfestival, einem Event der jungen nordeuropäischen Filmszene, konnten auf dem DGKJP-Kongress 2024 ausgewählte Kurzfilme zum Leitthema "Krise? - Wandel!" gezeigt werden. Die insgesamt 23 Kurzfilme wurden in zwei spannende Themenblöcke aufgeteilt. Block 1 war ein echtes Highlight mit Kurzfilmen, die sich auf beeindruckende Weise mit Themen rund um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auseinandersetzten. Junge Filmemacher:innen zeigten ihre Perspektiven zum Kongressthema. Und wir wurden nicht enttäuscht! Der zweite Block nahm Filme auf zu Themen mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen. Die Filme konnten am Donnerstag (19.09.) in einer separaten Kurzfilmdiskussion zwischen den Filmschaffenden und Expert:innen der KJPP im regen Austausch näher beleuchtet werden. Wir freuen uns sehr über die Zusammenarbeit mit dem FiSH-Filmfestival und bedanken uns recht herzlich!“
Der DGKJP Kongress hat mit unterschiedlichen Formaten und Inhalten rund um die Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht nur die eigentlichen Fachleute, also Vertreter*innen der Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie, sondern auch andere Disziplinen wie z.B. aus dem Bereich Pflege und Jugendhilfe sowie Erfahrungsexpert:innen angesprochen und ausdrücklich zum interdisziplinären Austausch eingeladen. Auch ADHS Deutschland e.V. und Aspies e.V. waren mit einem Infotisch in der Industrieausstellung auf dem DGKJP Kongress präsent und haben dort ihre Selbsthilfearbeit vorgestellt:
„Wir waren begeistert von der gesamten Veranstaltung, angefangen mit der Platzierung unseres Standes und der großen positiven Resonanz der Fachbesuchenden zu unserer Arbeit, über die jederzeit kompetente und freundliche Unterstützung durch die Kongressorganisation und -leitung bis hin zu dem für Interessierte im Rathaus Rostock organisierten Selbsthilfetag und möchten uns nochmals ausdrücklich bei beim Kongresspräsidenten sowie allen anderen Aktiven, gerade auch aus der Selbsthilfe und der Psychiatriekoordinatorin der Hanse- und Universitätsstadt Rostock für Ihr Engagement bedanken.“